Hercule Poirot
Der Meisterdetektiv Hercule Poirot wurde von der britischen Krimiautorin Agatha Christie (1890–1976) erschaffen, die sich mit insgesamt 68 Kriminalromanen und unvergesslichen Figuren (u.a. Hercule Poirot und Miss Marple) in ihrem Genre unsterblich machte und mit ihrem literarischen Werk die Vorlage zu etlichen Kriminalfilmen lieferte, von denen einige heute als Klassiker ihres Genres gelten.
Hercule Poirot, Christies berühmtester Detektiv, trat zum ersten Mal in dem Roman "Das fehlende Glied in der Kette" (engl. Originaltitel: "The Mysterious Affair at Styles", 1920) in Erscheinung. Seine fiktiv-literarische Biographie besagt, dass er während des Ersten Weltkriegs von Belgien nach England flüchtete. Diese - für Briten scheinbar nur schwer nachvollziehbare - Herkunft liefert die Grundlage für einen running gag, der dem Leser immer wieder - zum offensichtlichen Leidwesen des belgischen Detektivs - begegnet: Poirot wird aufgrund seines Namens ständig für einen Franzosen gehalten, was ihn ein ums andere Mal pikiert. Dieser Umgang mit der Verwechslung seiner Nationalität deutet bereits auf eine Charaktereigenschaft Poirots hin, die die Figur nicht selten in ihrem Handeln bestimmt: Poirot ist überaus eitel, einen starken Hang zur Selbstverliebtheit inklusive, der jedoch eher schrullig wirkt und ihn als Figur keineswegs unsympathisch erscheinen lässt. Diese Eitelkeit äußert sich einerseits in reinen Äußerlichkeiten wie der übertrieben liebevollen (und teilweise dabei höchst amüsanten) Pflege seines Schnurrbarts (Moustache). Andererseits ist er überaus stolz auf seinen scharfen Verstand, der dem pensionierten Polizeibeamten zusammen mit einer stark ausgeprägten Beobachtungsgabe tatsächlich auch die Lösung der kompliziertesten Fälle ermöglicht. Hierin liegt für Hercule Poirot, der die verschiedensten Fälle in allererster Linie als Herausforderung seines Verstandes sieht, einer der Hauptanreize für seine Ermittlungen. Auch wenn es ihm sicherlich nicht zuletzt darum geht, die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zuzuführen, steht dies nicht ganz so stark im Vordergrund wie bei anderen eher aus moralischen Motiven handelnden Romandetektiven wie etwa Raymond Chandlers Philip Marlowe.
Auch wenn Poirots Egozentrikertum - neben seinem pedantischen Ordnungswahn eines seiner Markenzeichen, das ihn mit vielen anderen berühmten Romandetektiven verbindet - seinen Mitmenschen ab und an lästig wird, nehmen diese seine Hilfe immer wieder gerne in Anspruch. Nicht zuletzt ist auch die Polizei - häufig repräsentiert von Chefinspektor Japp vom britischen Scotland Yard - auf seine Dienste angewiesen. Nicht nur in der Unterstützung der Polizei, die allzu häufig angesichts der komplexen Fälle überfordert erscheint, steht die Figur des Hercule Poirot in enger literarischer Tradition zu früheren bekannten Detektivfiguren: Ähnlich wie Sherlock Holmes hat auch er in einigen der Fälle einen Gehilfen an seiner Seite (Captain Arthur Hastings), der allerdings außer treuer Ergebenheit und uneingeschränkter Loyalität wenig zur Lösung der Fälle beitragen kann, jedoch immerhin in manchen der Kriminalerzählungen um den belgischen Meisterdetektiv als Erzähler auftritt. Die Parallelen zur Figur des Dr. Watson aus Doyles Sherlock-Holmes-Erzählungen sind auch in diesem Punkt kaum übersehbar.
Wer dem berühmten Meisterdetektiv aus Frankreich, pardon: Belgien, bei seinen Ermittlungen über die Schulter blicken will, dem seien folgende Romane ans Herz gelegt: Der bereits erwähnte Roman "Das fehlende Glied in der Kette" (1920) als erster Poirot-Roman Agatha Christies, der Welterfolg "Mord im Orient-Express" (1934) mit seiner unglaublichen Auflösung sowie der geheimnisvoll-faszinierende Roman "Das Böse unter der Sonne" (1941). Abgesehen von dieser Auswahl an Büchern, die nur als erste Empfehlung verstanden werden will, dienten mehrere Poirot-Romane als Vorlage zu überaus sehenswerten Filmen. Insbesondere ist dabei der heute als Kultfilm geltende "Mord im Orientexpress" ("Murder on The Orient Express", 1974) zu nennen, der mit einer absoluten Starbesetzung (u.a. Sean Connery, Anthony Perkins und Ingrid Bergman) und einem überragenden Albert Finney in der Rolle des belgischen Meisterdetektivs glänzt. Unvergessen sind zudem Sir Peter Ustinovs (1921-2004) brillante Darstellungen in den Filmen "Tod auf dem Nil" ("Death on the Nile", 1978), "Das Böse unter der Sonne" ("Evil Under the Sun", 1982) und "Rendezvous mit einer Leiche" ("Appointment with Death", 1988). Auch wenn sich Ustinov in seiner Darbietung des Hercule Poirot deutlich von der Figur der Romanvorlage entfernte, dürfte dies nur unverbesserliche Puristen stören. Allen anderen dürfte diese recht freie Interpretation als eine willkommene Bereicherung, als ein äußerst produktives Ausloten des Romancharakters erschienen sein. Dass Sir Peter Ustinov als ebenso genialer wie egozentrischer Schauspieler für diese Rolle wie kein anderer prädestiniert war, versteht sich beinahe von selbst und erklärt vielleicht auch den unwiderstehlichen Charme dieser Filme. Auch wenn der heutige Zuschauer in seinen Sehgewohnheiten von den actiongeladenen Filmen des Thriller-Genres geprägt ist, kann auch er sich kaum der Genialität Poirots im Beobachten, Ermitteln, Entdecken und Auflösen der Fälle entziehen.
Von dem SWR und dem MDR wurden 2006 insgesamt acht Poirot-Geschichten (u.a. "Eine Tür fällt ins Schloss" und "Lasst Blumen sprechen") als Hörspiele vertont, die jedoch im Gegensatz zu den Romanen und den hier genannten Filmen in erster Linie nur Freunden des Mediums Hörbuch/Hörspiel zu empfehlen sind, an dieser Stelle aber dennoch der Vollständigkeit halber erwähnt werden sollen.