Philip Marlowe
Seine ersten Ermittlungen nahm Marlowe in einigen Kurzgeschichten ("Mandarin's Jade", "The Man Who Liked Dogs" oder "Try the Girl") auf, bis er schließlich auch in insgesamt sieben Romanen ermittelte. Ihren hohen Bekanntheitsgrad als eine der weltweit berühmtesten Detektivfiguren erlangte die Figur jedoch durch zahlreiche Verfilmungen, insbesondere durch die brillante Verkörperung durch Humphrey Bogart in "Tote schlafen fest" (1946, engl. Originaltitel: "The Big Sleep"), ein von Howard Hawks inszenierter Klassiker des Film Noir. Auch wenn mit Robert Mitchum ("Lebwohl, mein Liebling", 1975 und "Tote schlafen besser", 1978), Elliott Gould und James Caan andere namhafte Schauspieler in die Rolle des berühmten Detektivs schlüpften, blieb Bogarts Darstellung am Nachhaltigsten in Erinnerung und gewissermaßen stilbildend für die cineastische Darstellung von Privatdetektiven.
Im Los Angeles der 30er, 40er und 50er Jahre, einer düster gezeichneten Stadt, in der allgemeine moralische Grundsätze fehlen, ist Philip Marlowe, dieser Prototyp eines Privatdetektivs, darum bemüht, seine eigenen moralischen Werte, die höchst individuell und dabei keineswegs immer vorbildlich sind, zu bewahren und gegen den allgemeinen Sittenverfall von Korruption, Gier und Macht(-Missbrauch) zu stellen. In Chandlers Los Angeles ist eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse an den üblichen Grenzlinien nicht mehr möglich: Die Polizisten sind häufig ebenso zwielichtig wie die Ganoven oder die Mächtigen.
Obwohl Marlowe in seinen Ermittlungen in erster Linie Aufträgen folgt und er durchaus Wert auf eine entsprechende Entlohnung legt, geht es ihm zuallererst um die Erfüllung seines Jobs: Das Auffinden der Wahrheit steht im Zentrum seines Handelns, nicht das Streben nach Geld oder gar Ruhm. So zieht sich auch die Geldknappheit Marlowes, der nur über ein eher schäbiges Büro verfügt und angesichts seiner Fähigkeiten auch finanziell deutlich mehr erreichen könnte, nicht zufällig wie ein roter Faden durch die Romane. Als einsamer Kämpfer ist er dabei eine zutiefst melancholische Figur, die zwar angesichts der Übermacht ihrer Gegner immer zum Scheitern verurteilt ist, jedoch nie vollkommen geschlagen ist.
Schon in "The Big Sleep" (1939, dt. Der große Schlaf, 1950), dem ersten Marlowe-Roman Chandlers, weist der Privatdetektiv alle für ihn so typischen Charakterzüge auf, die sich nicht zuletzt in der Beschreibung seiner Vergangenheit äußern: Aufgrund einer Befehlsverweigerung, die sowohl seine rebellische Einzelgänger-Ader als auch das mutige Beharren auf individuelle Wertmaßstäbe unterstreicht, hat Philip Marlowe seine Anstellung als Ermittler des Distriktanwalts verloren. In seinem Kampf für die Gerechtigkeit und Wahrheit hat er allenfalls Verbündete, die ihn kurzfristig unterstützend begleiten. Letzten Endes bleibt er jedoch ein illusionsloser "einsamer Wolf", der sich nur auf sich selbst verlassen kann und will. Dazu passt auch die Selbstcharakterisierung, die Marlowe in "Der lange Abschied" (1954, engl. Originaltitel "The Long Good-Bye") vornimmt: "Ich bin ein Einzelgänger, unverheiratet, mittleren Alters und nicht reich. Sollte es mal so weit kommen, dass ich in einer dunklen Gasse um die Ecke gebracht werde,[...] dann wird kein Mensch das Gefühl haben, dass seinem beziehungsweise ihrem Leben der Hauptzacken aus der Krone gebrochen wäre."
Marlowes Privatleben selbst bleibt bis auf wenige Details im Dunkeln, wenn er denn überhaupt ein Privatleben hat: Er raucht gerne und viel - ein häufig verbreitetes Laster unter Roman- und Filmdetektiven - und trinkt am Liebsten Bourbon. Des Weiteren kocht er gut Kaffee und spielt gerne Schachpartien nach. In seiner Liebe zu diesem Spiel wird seine Vorliebe für analytisches, logisches Denken offensichtlich. Außerdem verdeutlicht die Tatsache, dass er sich einem für zwei Personen angelegten Spiel alleine widmet, einen wichtigen Teil seiner Existenz als "einsamer Wolf", eine Leidenschaft die ihn nicht zuletzt mit Sherlock Holmes, dem berühmtesten Detektiv aller Zeiten, verbindet.
Mit analytischen Fähigkeiten alleine blickt man als Zuschauer im Übrigen kaum durch die häufig überkomplexe Handlung von Chandlers Romanen: Da der Autor diese oftmals aus bereits veröffentlichten Kurzgeschichten zusammensetzte, ist die Handlung der Marlowe-Romane häufig mehr als verwirrend. Als erster Einstieg in die Welt des Philip Marlowe sei abschließend noch einmal auf den Film-Klassiker "Tote schlafen fest" von Howard Hawks verwiesen, der nicht nur hervorragend den Privatdetektiv Marlowe mit all seinen charakteristischen Eigenschaften und Fähigkeiten präsentiert, sondern auch eine Sternstunde in der Geschichte des Kriminalfilms darstellt. Wer stattdessen lieber zu einem Buch greifen möchte, dem sei sowohl die Romanvorlage zu erwähntem Film als auch der zweite Marlowe-Roman "Lebwohl, mein Liebling" ans Herz gelegt: Die ausdrucksstarke, bildkräftige Sprache Raymond Chandlers, die im Krimi-Genre bis heute ihresgleichen sucht, macht die Lektüre seiner Kriminalromane auch unabhängig von der außergewöhnlichen Figur des Philip Marlowe zu einem echten Vergnügen.